Woran denkst Du bei den Begriffen ‚Öko-Dorf‘ und ‚alternatives Zusammenleben‘? An Hippies, die mit Jute-Beutel Gänseblümchen pflücken gehen? Weit gefehlt!
Die Gemeinschaft Sulzbrunn im Oberallgäu ist viel mehr eine Zukunftswerkstatt, in der eine Gruppe Menschen versucht, neue und alternative Lebensmodelle auszuprobieren. Wie das funktioniert, erfährst Du hier.
Alfons Fischer betreut den Dorfladen in der Gemeinschaft.
Foto: Felix Futschik
Ökospinner – das hat Alfons Fischer anfangs hin und wieder gehört. „Die haben aber keine Ahnung, was hier abgeht“, sagt der 67-Jährige, der seit über drei Jahren in der Gemeinschaft Sulzbrunn im Oberallgäu wohnt. Auf dem ehemaligen Gelände der Fachklinik für Suchtkranke der Diakonie haben 2015 rund 20 Erwachsene eine Gemeinschaft gegründet. Was sie wollen? Neue Modelle des Zusammenlebens ausprobieren – sozusagen als Zukunftswerkstatt für ein soziales Miteinander, einem nachhaltigen Leben und alternativen wirtschaftlichen Modellen.
Dafür haben sie ein Gelände, das eine Fläche von 15 Hektar umfasst – das entspricht etwa 21 Fußballfeldern gekauft. Dort gibt es Wald, Wiesen, einen Garten, Gewächshäuser, Wohnhäuser und ein Seminarhaus. Die Menschen wohnen entweder in Wohngemeinschaften oder in Apartments. „Wir sind als Genossenschaft organisiert“, sagt Leo Frühschütz, Aufsichtsratsvorsitzender. Das Dorfleben wird zurzeit von vier Arbeitskreisen, für die jeweils fünf oder sechs Bewohner zuständig sind, geregelt.
So gibt es den Kreis ‚Gemeinschaft, Verein, Gebäude und Veranstaltungen‘ zu dem auch der Bereich Gäste zählt. Denn: Entscheidungen werden größtenteils gemeinsam getroffen. „Früher haben wir alle Entscheidungen gemeinsam getroffen. Wenn du aber relativ viel Kleinkram hast, der von 25 bis 30 Leuten entschieden werden muss, dann ist das mühsam“, sagt Frühschütz. Deshalb habe man die Strukturen anpassen müssen, sodass sich die kleineren Gruppen der Arbeitskreise mit den Dorfthemen beschäftigen.
Leo Frühschütz ist Vorsitzender des Aufsichtsrates der Genossenschaft. Er sagt, dass Gemeinschaft auch unheimlich viel Arbeit macht.
Foto: Felix Futschik
Zu Alfons Fischers Aufgaben in der Gemeinschaft gehört unter anderem der Dorfladen. Dort gibt es alles, was man zum Leben braucht. Der Laden hat 24 Stunden, sieben Tage die Woche geöffnet. Bezahlt wird entweder bar oder der Käufer trägt sich in eine Strichliste ein. „Im Winter wird es im Laden immer ein bisschen weniger“, sagt Fischer. Zwei Mal pro Woche kommt ein Laster vom Großhandel und bringt Nachschub.
Seit vergangenem Sommer kommen auch Produkte aus dem eigenen Garten in den Laden. Zurzeit liegen vor allem rote Beete, Karotten und Zwiebeln in der Auslage. Dafür hat die Gemeinschaft eine solidarische Landwirtschaft (Solawi) gegründet. Das bedeutet, jeder, der daran teilnimmt, bezahlt den Preis, den er sich leisten kann und darf sich aus dem Angebot bedienen. „Das können 40, 50 oder 80 Euro im Monat sein“, sagt Fischer.
Einmal pro Woche wird in der Großküche für das Dorf gekocht. Ebenfalls mit Produkten aus dem eigenen Anbau. Die Teilnehmer der Solawi essen auch dort kostenlos mit. Ansonsten wird die Großküche hauptsächlich für den Seminarbetrieb genutzt. Regelmäßig finden auf dem Gelände Veranstaltungen statt. Zum Beispiel das Sulzbrunner Symposium „Eine neue Kultur des Alterns“.
Sulzbrunn aus der Luft:
Teil der Gemeinschaft werden
Das Thema alt werden und wie mehrere Generationen zusammenleben können, beschäftigt die Gemeinschaft. „Am Platz leben Menschen zwischen null und 80 Jahren“, sagt Frühschütz. Anfangs sei der Großteil über 50 Jahre gewesen, „das ist heute besser geworden, aber noch nicht so, wie wir uns das wünschen“, erklärt der 55-Jährige. Deshalb hat das Dorf beschlossen, nur noch Menschen unter 45 Jahre in die Annäherung aufzunehmen.
Die Gemeinschaft steht auf drei Säulen: Gemeinnützige Stiftung, der Grund und Boden gehört, Gemeinnütziger Verein, an den finanzielle Mittel für Projekte ausgeschüttet werden können und Genossenschaft, die in Erbpacht über 99 Jahre die Immobilie von der Stiftung übernimmt und bewirtschaftet. Unterstützt wird die Gemeinschaft Sulzbrunn von der schon bekannteren Öko-Gemeinschaft Tempelhof in der Nähe von Crailsheim in Baden-Württemberg.
Die Annäherung – das bedeutet, Menschen interessieren sich für die Gemeinschaft und wollen ein Teil davon werden. „Die Infotage sollen Interessierten erst einmal einen Überblick geben“, sagt Frühschütz. Danach sei es wichtig, bei zwei oder drei Helfertagen dabei zu sein. An diesen Tagen werden Projekte, wie beispielsweise bei der Ernte helfen oder eine Steinmauer bauen, für die Gemeinschaft realisiert. „Da lernt man die Leute über das Arbeiten kennen“, sagt Frühschütz. Wird für beide Seiten klar, dass es passt, ist der nächste Schritt die Annäherung.
„Den Leuten muss klar sein, dass eine Gemeinschaft unheimlich viel Arbeit macht“, betont Frühschütz. „Du musst dich mit viel Energie, Zeit und Nerven darauf einlassen.“ Das sei auch anstrengend. In der Annäherung bekommt der Interessierte einen Paten aus dem Dorf an die Seite, um alles noch besser kennenzulernen. „Man sollte möglichst oft am Dorfleben teilnehmen“, sagt Frühschütz. Danach kommt die Entscheidung, ob man Teil der Gemeinschaft werden will oder nicht. Spätestens hier wird es dann ernst, denn wer ein Sulzbrunner werden will, muss 30.000 Euro in die Genossenschaft einbringen. „Das Gelände hat drei Millionen Euro gekostet, inklusive Nebenkosten“, sagt Frühschütz. Der Finanzierungsplan sei von Anfang an so gewesen, dass die Hälfte durch Eigenkapital und die andere Hälfte durch einen Kredit aufgebracht wird. „Bei 50 Erwachsenen macht das pro Person 30.000 Euro“, erklärt Frühschütz.
Großmutter Sabine Grotz zusammen mit Sohn Patrick und dessen Lebensgefährtin Lisa Numberger und den Zwillingen Josefine und Paul.
Foto: Felix Futschik
Gemacht hat das die Mehrgenerationenfamilie von Patrick Grotz und Lisa Numberger. Sie leben zusammen mit ihren beiden Kindern Josefine und Paul und der Großmutter Sabine Grotz im Dorf. „Von den Leuten, die jetzt noch hier am Platz wohnen, sind wir die ersten, die hier gewohnt haben“, sagt Patrick Grotz. Das war im Mai 2015. Gemeinschaften kennen die beiden von früher. Sie waren eine Zeit in Sieben Linden, einer Gemeinschaft in der Nähe von Berlin, oder in Tamera in Portugal. Die beiden haben sich bei einem Gemeinschaftsexperiment in Mecklenburg-Vorpommern kennengelernt. „Wir haben da mit vielen jungen Leuten zusammengewohnt“, sagt Lisa. So entstand der Wunsch, dass sie auch eine Gemeinschaft gründen wollen – am besten im Allgäu.
„Seit der Gründung hat sich hier wahnsinnig viel verändert“, sagt Lisa Numberger. Mit neuen Dorfbewohnern seien natürlich neue Ideen dazugekommen. „Das war ja wie ein Geisterdorf“, erinnert sich Patrick Grotz. Das soll immer mehr Leben bekommen – viele Projekte stecken noch in den Kinderschuhen.
Gemeinschaft ist aber nicht für alle das richtige Modell. Das weiß Frühschütz aus Erfahrung. „Wir hatten schon zwei oder drei Leute, die hierhergezogen sind, dann aber gemerkt haben, dass es für sie doch nicht passt“, sagt Frühschütz. Dafür soll der Ort aber auch da sein, um sich selbst kennenzulernen und neue Erfahrungen zu machen.