Was macht denn eigentlich ein Ökodorf? Gibt es dort gelungene Lösungen für nachhaltiges Leben, die in andere Dörfer transferiert werden können? Diesen Fragen gingen das Umweltbundesamt (UBA) 2016 zusammen mit dem deutschen Ökodorf-Netzwerk GEN (Global Ecovillage Network) nach. Heraus kam die Idee des Modellprojekts der Dorfkooperationen: voneinander lernen in Bezug auf nachhaltiges Leben und eine nachhaltige Dorfentwicklung. Gedacht, getan: Die erste Phase des Projekts „Leben in zukunftsfähigen Dörfern“ fand von 2017-2018 statt. Experimentierfreudig gingen fünf Dorftandems aus je einem Ökodorf und einem gewachsenen, traditionellen Dorf an den Start. Mit der Begleitung aus den Ökodörfern tüftelten Dorfbewohner*innen und Bürger*innen über zwei Jahre lang an möglichen Zukunftsbildern des Dorfes, kreierten Denkräume, hakten und fragten nach, was es in ihren Dörfern an Lösungen, Bedürfnissen, Antworten und konkreten Handlungen bereits gab. In den Workshops standen ihnen jahrzehntelang und weltweit gesammelte Erfahrungen zu ganzheitlichen Lebensstilen der Ökodörfer über einen praxisnahen Methoden-Werkzeugkasten zur Verfügung. Die Ergebnisse waren vielfältig, aus den Nachhaltigkeitsbewertungen der Dörfer entstanden Nachhaltigkeitspläne und konkrete Projekte vor Ort wurden realisiert, wie z.B. der Aufbau der „Arbeitsgemeinschaft Nachhaltiges Ziegenhagen“, die Wiederbelebung einer Streuobstwiese, der Bau einer „Mitfahrbank“ und die Erweiterung eines Regionalladens. Der Projektaufbau, sein -verlauf, die -methodik sowie die Projektergebnisse wurden in einer wissenschaftlichen Studie ausgewertet (s.u. Textabschnitt zur Projektstudie „Leben in zukunftsfähigen Dörfern. Ökodörfer als Katalysatoren einer nachhaltigen Entwicklung“).

Zwischenbilanz nach einem Jahr Projektlaufzeit

Das große Projekt wurde verlängert und startete im Mai 2019 in Runde II mit drei Schwerpunkten: Erstens die wiederbelebte Förderung der Selbstorganisation der traditionellen Dörfer voranbringen, zum Zweiten die Vernetzung der Akteure der nachhaltigen Regionalentwicklung. Und gleichzeitig drittens befindet sich die Internetplattform „Lernorte für morGEN“ mit nachhaltigen Bildungsformaten aus (Öko-)Dörfern des Wandels im Aufbau. Sie wird voraussichtlich im Frühsommer 2020 zum Netzwerktreffen der Ökodörfer aus GEN Deutschland „eröffnet“ und bietet einen deutschlandweiten Veranstaltungskalender, Referent*innenpool und Seminare. Wir sind außerdem auf der Suche nach traditionellen „Wandel-Dörfern“, die für ihre Bildungsaktivitäten auf dieser Plattform werben wollen! (Kontakt und Anfragen s. u.)

Aktive Dörfer

Ab Sommer letzten Jahres waren dann drei Tandems dabei: Das Lebensgut Cobstädt & Seebergen in Thüringen, die Gemeinschaft Mittendrin Leben und Harmstorf in Niedersachsen und das Ökodorf Sieben Linden mit Beetzendorf, Sachsen-Anhalt. Bei den Auftaktveranstaltungen in den Dörfern ging es konkret ums Anschauen und Bewerten vorhandener Nachhaltigkeitsbestrebungen, um Austausch von Erfahrungen und Lernen anhand guter Lösungen. Es wurde klar, dass gemeinsame Aktionen, die die Gemeinschaftlichkeit zum Beispiel durch Dorfspaziergänge, Baumpflanzaktionen und Subbotniks in den Dörfern fördern können, in der Projektarbeit eindeutig im Vordergrund stehen werden.

Beetzendorf, eines der drei teilnehmenden Dörfer, begab sich in einen besonders inspirierenden Prozess. Hier unterstützen sich die „Grüne Bewegung“, ein sehr aktiver Gemeinderat, das Projekt „Kultur an verborgenen Räumen“ und „Leben in zukunftsfähigen Dörfern“ gegenseitig. Mit über 50 Bürger*innen wurde das Motto „Gesunde Region Beetzendorf“ beschlossen und fünf Arbeitsgemeinschaften zu den Themen „Park, Leerstand, Gesund Leben, Radwege und Jugend“ gegründet.

Das Projekt „Leben in zukunftsfähigen Dörfern II“ genießt national wie auch international reges Interesse. Die Teilnehmer*innen werden für Beratung von Dörfern im Aufbruch und Erfahrungsberichte angefragt, geplant sind verschiedenste Aktionen zur Vernetzung und Kooperation bei Events und Messen (die aufgrund der derzeit gesellschaftlich angespannten Situation durch das Corona-Virus leider zum Teil nicht stattfinden). Auch fließen die Ergebnisse und Erkenntnisse des europäischen Projekts ETA „Ecovillage Transition in Action“ (mit Partner*innen aus GEN Deutschland, ECOLISE, dem Dachverband der Ökodörfer, Permakultur und Transition Town-Bewegung, sowie von GEN International) ein, es gibt einen engen Kontakt zur Initiative „Dorfgespräch“ aus Bayern und zur Dorfmoderationsausbildung in Südniedersachsen.

Sehr viel positive Resonanz und Beifall gab es für die Tagung zu Halbzeit „Mit Kooperation zum Erfolg – Bürger*innen und Kommunen Hand in Hand für zukunftsfähige Dörfer“. Als Ausrichter hatte das mehrköpfige Projektteam Anfang März 2020 unterschiedlichste Akteure der Regionalentwicklung ins Ökodorf Lebensbogen bei Kassel eingeladen. Und die „saßen auf vielen Fragen“: Wie gelingt eine gute Kooperation zwischen Bürger*innen und Kommunen? Was bedeutet Selbstorganisation und -verantwortung? Welche Finanzierungsmöglichkeiten von Dorfaktionsprozessen gibt es? u.v.m. Unerwartet viel Offenheit, Neugier und dem Wunsch nach Wirksamkeit bestimmten den Raum mit über 50 Teilnehmer*innen aus Wissenschaft, von Vernetzungsstellen, aus Dörfern des Wandels und Ökodörfern sowie (politischen) Vereinen und Initiativen zur Entwicklung des ländlichen Raums. Die beiden Konferenztage waren gefüllt mit gelungenen oder gelingenden Geschichten für zukunftsfähige Dörfer und Austausch zu Hemmnissen und Ängsten, „ein Dorf anzupacken“. Darüber hinaus gab es inspirierende Diskussionen um Formate, Workshops, Übungen und Vorträge zu Bürgerbudgets, Bürgeraktivierungsprozessen und -moderation. Die käuflich erwerbbaren GEN-Spielkarten – ein Werkzeug für die spielerische, interaktive und anschauliche Arbeit und Untersuchung der Ausgangslage der Dörfer – kamen bei der Projektkonferenz ebenfalls zum Einsatz (deep link oder Link zu GEN-Spielkarten s.u.). Die ansprechenden Bilder und Texte der Karten, die in der ersten Projektphase entwickelt wurden, machen die Zusammenhänge von nachhaltiger Entwicklung und ihren notwendigen Schritten dorthin anschaulich und leicht verständlich. Sie zeigen die fünf Nachhaltigkeitsdimensionen der Ökodörfer (mit Fragen, Anregungen und Aufgaben zu Sozialem, zur Kultur, Ökonomie und Ökologie sowie zu einer ganzheitlichen Sicht) und nehmen Bezug zu den Sustainable Development Goals (SDG) der UN. Im Tagungsworkshop entstanden damit viele Aha-Momente und angeregte Gespräche mit Tiefgang zu Nachhaltigkeitssituation im Dorf, Projektbewertungen oder angehende Aktionen „wie aus dem Nichts“.

Corona-bedingt sind in den letzten Wochen und noch für einige Zeit viele Veranstaltungen ausgefallen. Für „nachholende Veranstaltungen“ in 2021 haben wir nun beim Umweltbundesamt einen Antrag gestellt auf Laufzeitverlängerung bis Sommer 2021 und eine Erhöhung des Budgets. Dann würden wir die für November 2020 geplante Veranstaltung für andere Themen nutzen – z.B. Antworten der Dörfer auf diese und zukünftige Krisen.

Mitte Juni werden wir Bescheid erhalten, ob das Umweltbundesamt dem zustimmt.

Wer mehr zu unserem Projekt erfahren möchte, kann uns gerne kontaktieren:

Christoph Strünke, Projektleiter: christoph.struenke@gen-deutschland.de oder
Stefanie Raysz, Projektassistenz und Mitarbeiterin Öffentlichkeitsarbeit: stefanie.raysz@gen-deutschland.de
Simone Britsch, Projektleiterin der Bildungsplattform „Lernorte für morGEN“: lernorte@gen-deutschland.de

Weiterführende Informationen und Kontakte:


Projektstudie (2020) – Leben in zukunftsfähigen Dörfern. Ökodörfer als Katalysatoren einer nachhaltigen Entwicklung.

von Helene Urbain

Die wissenschaftliche Studie „Leben in zukunftsfähigen Dörfern. Ökodörfer als Katalysatoren einer nachhaltigen Entwicklung“ untersucht die Chancen und Probleme einer nachhaltigen Dorfentwicklung und ihrer Akteure*innen des Wandels anhand des Pilotprojektes „Leben in zukunftsfähigen Dörfern“.

Ausgangspunkt war u.a. die Betroffenheit über die Situation vieler Dörfer, in denen oftmals viel Leerstand herrscht, der demographische Wandel zuschlägt und Arbeitsplätze und Dienstleistungen vor Ort fehlen. Ökodörfer bzw. Gemeinschaften haben das Potenzial, mit ihrer langjährigen Erfahrung in Selbstorganisation und -gestaltung zur Bewältigung dieser Situation auf dem Land beizutragen. Mit dem ganzheitlichen, pragmatischen und langfristigen Nachhaltigkeitsansatz, den die deutschen Ökodörfer verfolgen, sollen die die ökologischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Aspekte nachhaltigen Handelns erarbeitet und verbunden werden.

Bürger*innen-Workshop im schwäbischen Dorf Hülen

Anvisiert war, die Übertragbarkeit dieses Nachhaltigkeitsverständnis in den Kontext ländlicher Gemeinden zu prüfen. Gleichzeitig sollte eine zukunftsfähige Umgestaltung traditioneller Dörfer, die maßgeblich von den Bewohner*innen selbst gestaltet wird, unterstützt werden. Die aus dem Ökodorfnetzwerk GEN und seiner Partnerorganisation Gaia Education entwickelten Instrumente und Methoden standen den fünf Kooperationsdörfern zur Verfügung. Dazu gehörten die Nachhaltigkeitsevaluation, ein Nachhaltigkeitsplan und ein eigens für das Projekt entwickelter „Methodenkoffer“, der sich am „Community Learning Incubating Program for Sustainability“ (CLIPS – gemeinschaftsbildende Methoden, die im GEN-Netzwerk angewendet werden. Anm. d. Red.) anlehnt.

Darüber hinaus sollten die Erfahrungen und das Wissen aus dem durchgeführten Pilotprojekt weiteren Dörfern, vor Ort aktiven Menschen, der Wissenschaft und der Politik zugänglich gemacht werden. Die Analyse der Eignung und Wirkung der angewandten Instrumente und Methoden und der Erfolgsfaktoren für die Arbeit in den Wandeldörfern hatte folgende Schwerpunktthemen:

  • Wie wurden die Ökodorf-Instrumente und -Methoden im Dorfentwicklungsprozess durch die Bürger*innen angewendet und wie war die Wirkung auf die Ortschaft?
  • Was sind Chancen und Probleme einer nachhaltigen Dorfentwicklung?
  • Was sind die Erfolgsfaktoren von Dorfaktiven oder Dorfbegleitern*innen?
  • Wie sehen die unterschiedlichen Ansätze einer nachhaltigen Dorfbewegung aus?
  • Wie wirken sich die Prozesse in den Dörfern in weiteren Kreisen (Gemeindeverbund, Land, Bund) aus?

Die Studie umfasst neben weiterführenden Antworten auf diese Fragen auch die Beschreibung der angewandten Instrumente und Methoden und zeigt weiteren Forschungsbedarf auf. Besonderes Augenmerk liegt insbesondere auf den Handlungsempfehlungen für zukünftige nachhaltige Dorfentwicklungsprojekte, die einen ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatz und ein ähnliches partizipatives Projektdesign verfolgen.

Erfreulich ist die Feststellung, dass in allen angeschobenen Dorfprozessen innerhalb des Projekts transformative lokale Ansätze sichtbar wurden. Die wissenschaftliche Auswertung verdeutlicht dabei auch die Bedeutung lebendiger Dörfer und ihr jeweils ganz individueller Ansatz für eine nachhaltigen Entwicklung für eine Erfolgsgeschichte.

Literatur:

„Leben in zukunftsfähigen Dörfern. Ökodörfer als Katalysatoren einer nachhaltigen Entwicklung.“
Dr. Stella Veciana, Helene Urbain, Dr. Anne-Kathrin Schwab
Die Studie zu dem vom Umweltbundesamt geförderten Pilotprojekt mit GEN Deutschland ist kostenfrei online abrufbar unter:
https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/leben-in-zukunftsfaehigen-doerfern

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