Autorin: Julia Pleintinger

„Lasst es uns doch einfach mal probieren!“ – so startete unsere gemeinsame Ökonomie (gemök) im Mai 2020. Dem vorausgegangen waren viele Diskussionen darüber, ob wir eine solche Form des Wirtschaftens für unser Projekt wollen („JA!“) und vor allem wie sie denn gestaltet sein solle und was zu beachten sei. Zunächst wollten wir uns nur die notwendigen Grund-Regelungen geben und sie in der Praxis erproben und verbessern. So war unsere gemök-Testgruppe geboren, mit 7 von 12 Menschen aus unserer Gemeinschaft.

Was bedeutet Gemeinsame Ökonomie (gemök) für uns?

Kurz gesagt: Alle unsere Einkommen fließen in einen gemeinsamen Topf. Aus diesem bedienen wir uns alle je nach unseren Bedürfnissen. Das heißt, unsere individuellen Ausgaben sind unabhängig von unseren individuellen Einnahmen. Bei uns gibt es bisher nur eine gemeinsame Alltagsökonomie (= nur Einkünfte werden geteilt). Eine gemeinsame Vermögensökonomie (= auch die Vermögen werden vergemeinschaftet) ist für uns der folgerichtige nächste Schritt, bedarf aber intensiver Vorplanung.

Der Weg zu unserer Gemeinsamen Ökonomie erfolgte durch verschiedene Kontakte zum Thema, wie bei der Veranstaltung Move Utopia oder in Gesprächen mit Menschen aus anderen Kommunen. Manche von uns waren vorher skeptisch und wären nicht in die Freie Feldlage gezogen, wenn hier eine verpflichtende gemök praktiziert worden wäre. Aus mangelnder Vorstellungskraft, Sorge vor Autonomieverlust und weil es einfach ein radikaler Schritt ist. Aus heutiger Sicht: radikal sinnvoll. In diesem Sinne fungiert auch die Testgruppe als eine Chance, dass Menschen in Annäherung unverbindliche gemök-Eindrücke sammeln können – und bisher in der Tendenz zugeneigter werden.

Und wieso? Was sind denn Gründe für eine gemeinsame Ökonomie?

Zitat von Regine Beys*: „Menschen werden nicht länger durch Geld bewertet. Sie sind nicht länger abhängig vom Markt, sondern können ihre individuellen Fähigkeiten einbringen, wie auch immer sie aussehen mögen. Sie können gemeinsam frei entscheiden mit der Gewissheit, dass sie ihr Auskommen gemeinsam bestreiten.“

Mit einer gemök können ökonomische Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten ausgehebelt werden. Zum Beispiel zwischen einer*m Ingenieur*in mit 70 EUR Stundenlohn, einer Pflegekraft mit 10 EUR Stundenlohn und einem Mensch, der unentgeltlich im Projekt mitarbeitet. Sind diese drei Menschen in einer gemök, können sie die gleiche Wertschätzung für ihre Tätigkeiten erfahren, weil diese nicht nur am Geld gemessen wird. Und es wird ein soziales Netz gespannt, das allen dieselben finanziellen Möglichkeiten eröffnet. Ein weiterer Vorteil, gerade für Gemeinschaftsprojekte, die gleichberechtigt und hierarchiefrei sein wollen, ist: Es entstehen keine Machtunterschiede durch Vermögensunterschiede.

“Nicht Arm und Reich säßen am ungleich gedeckten Tisch, sondern Ungleiche säßen an gedeckten Tischen. Und in der Ungleichheit würden die Menschen die Potentiale erkennen, die andere haben und ihre eigenen anbieten. Doch nicht um zu konkurrieren, sondern um zu kooperieren.”**

Und neben diesen sozialpolitischen Gründen gibt es auch noch ganz pragmatische:

Wenn ich Gemüse von unserer eigenen Solawi beziehe, bei der meine Mitbewohner*innen arbeiten, die wiederum Seife aus meiner Manufaktur kaufen [leider noch ein fiktives Beispiel], müssen wir nicht herumrechnen und uns unsicher sein, ob der Preis gerechtfertigt ist – denn die gemök erspart diese Geld-Herumschieberei und Fragen. Immer mehr Gemeinschaften und andere Gruppen wirtschaften gemeinsam. Mit am längsten dabei ist die Kommune Niederkaufungen seit über 30 Jahren.

Genug Theorie. Wie sind denn die Praxiserfahrungen?

Die Grundstrukturen unserer gemök sind:

  • Ausgaben über 50 € werden vorher angekündigt, auf einer Onlineplattform und/oder im Plenum.
  • Dieses gemök-Plenum findet ca. zweiwöchentlich statt (in der Praxis seltener). Hier wird über Kaufentscheidungen beraten und entschieden, unsere aktuelle Finanzlage gecheckt und Themen für das Sozialplenum gesammelt.
  • Dokumentation: in der „Transaktions-Transparenz-Tabelle“ (TraTra) halten wir unsere Einnahmen und Ausgaben fest. Dies dient dem Überblick über unsere Finanzlage und dem Aufbau von Vertrauen. Aus Gründen technischen und menschlichen Scheiterns ist diese Tabelle nie vollständig, aber größtenteils verlässlich.
  • ein gemeinsames Konto, dessen Einrichtung sich über ein halbes Jahr zog, währenddessen es sich doch noch etwas wie Individualökonomie von unseren jeweiligen Konten anfühlte. Abgesehen von der gemeinsamen Barkasse, die vom ersten Tag an bestand. Und auch für die Menschen, die (immer mal wieder) kein Einkommen beziehen, stellte sich schnell ein Sicherheit spendendes Gefühl ein, mitgetragen zu werden. Daraus entstanden manchmal innere Konflikte (‚ich will/sollte auch beitragen können‘), aber kaum zwischenmenschliche, da üben wir uns in Bedingungslosigkeit.
  • Um Fehlannahmen auszuräumen: Es gibt in einer gemök privates Eigentum! Meinen Laptop verleihe ich natürlich, aber es bleibt ‚meiner‘, auch wenn er mit gemeinsamem Geld gekauft ist.

Diskussionen… Welche Themen werden denn debattiert?

Unsere gemök soll eine Ermöglichungs-Gemeinschaft sein, keine Verhinderungs-Gegeneinanderschaft. Die Regel, dass Ausgaben über 50 € angekündigt werden, ist nicht dazu da, Menschen einzuschränken sondern ermöglicht Synergien: Manchmal hat noch wer den gewünschten Gegenstand in der Schublade oder es fallen uns alternative Beschaffungsmöglichkeiten ein. Auch die Frage: „Brauche ich das wirklich?“, lohnt sich. Kann das zugrunde liegende Bedürfnis anders gedeckt werden? So gibt es Möglichkeiten des gegenseitigen Kennenlernens, auch ein Ziel der gemök: Lernen, über Geld zu reden!
Es ist dennoch wichtig, kritisch zu bleiben und zu prüfen, ob die gemök diese Ziele erfüllt oder nicht doch zur Einschränkung wird. Die Meinungen gehen auseinander, ob die Auseinandersetzung über unser unterschiedliches Konsumverhalten gewollter Bestandteil unserer gemeinsamen Ökonomie ist.

Soziale Themen, wie z. B. unsere Prägung mit Geld, der Zweck von Geld für uns und die Bedeutung von Solidarität in Theorie und Praxis, haben im Gemeinschaftsplenum bisher oft zu wenig Raum gefunden und werden nun in ein separates gemök-Sozialplenum ausgelagert – auch wenn das einen weiteren Termin bedeutet.

Ein heißer Punkt, der uns generell gesamtgemeinschaftlich beschäftigt, zeigt sich auch in der gemök: Wieso kaufen öfter Männer etwas Teures – und dann auch noch vor allem Technikkram?! Trauen sie sich mehr, sich für ihre Wünsche einzusetzen, während Frauen zurückstecken? Wollten wir solche Geschlechterrollen nicht hinter uns lassen? Und in welcher Form können wir darüber reden, ohne dass sich beide Seiten missverstanden und angeklagt fühlen?

Offen ist, inwiefern gemeinsame Ökonomie ein Grundpfeiler dieses ganzen Projektes wird. Eigentlich wollen wir das doch alle, aber schrecken wir damit zu viele Gemeinschaftsinteressierte ab? Bleiben wir dabei, dass es eine (wachsende) Testgruppe gibt und Neuzugänge die gemök vor Ort miterleben und sich ein eigenes Bild davon machen können? Ist eine gemök für irgendwann 50-80 Leute überhaupt möglich oder wie kann die Alternative aussehen, z. B. eine Einteilung in kleinere gemök-Gruppen?

Und wie geht’s jetzt weiter? – Fazit und Ausblick

Unsere Zwischenreflexion nach sechs Monaten ergab: Wir können uns das für immer vorstellen, zunächst weiter in der Testgruppe, die offen ist für neue Mitglieder. Unsere Gemeinschaft ist auf ca. 15-20 Menschen angewachsen. Von den Neuen ist noch niemand in die gemök eingestiegen, aber einige beobachten gespannt. Unsere gemök-Treffen sind offen für Interessierte und neulich hatten wir einen gut besuchten Info-Abend. Im Alltag kommt oft die Erkenntnis, wie praktisch, zeitsparend, etc. es jetzt wäre, wenn alle in der gemök wären.

Neben der Frage der potenziellen Ausweitung der gemök auf das Gesamtprojekt, gibt es auch innerhalb der gemök noch viel zu bedenken und zu regeln: Bisher fehlen Ausstiegsverträge, die beispielsweise festlegen, wie viel Geld und welche Gegenstände die Person mitnimmt.
Wollen wir längerfristig eine Vermögensökonomie? Diese VermÖk muss stärker durchdacht werden als eine Alltagsökonomie. Auch aus Gründen unserer Demografie, haben wir die Themen Kinder und Altersvorsorge fürs Erste zurückgestellt . Viele wichtige Aspekte, deren Bearbeitung wir nicht zu lange aufschieben sollten.

Aber immerhin haben wir es gewagt, Praxiserfahrungen gesammelt und sind weiterhin überzeugt, dass die gemök das Richtige für uns ist. Nicht perfekt, aber besser als alles andere Vorstellbare.

Literatur:

* Regine Beyß: Ungleiche sitzen an gedeckten Tischen. Der Freitag. 2014.
freitag.de/autoren/schlachtreif/ungleiche-sitzen-an-gedeckten-tischen

** Das Kommunebuch – Utopie. Gemeinsam. Leben. 2014, S. 190

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