Vision aufbauende Landwirtschaft am Tempelhof – Forschungsprojekt

Autorin: Helene Urbain

Der Weltklimarat und der Ausschuss für Welternährungssicherheit fordern eine Agrarwende. Schon seit Jahren zeigt sich, dass die industrielle Landwirtschaft nicht die Lösung ist, um weltweit die Ernährung zu sichern. Zudem gehen die Ausweitung der Anbau- und Weideflächen, die Intensivierung der Produktion und verstärkten Pestizideinsatz zu Lasten der Umwelt, des Klimas, der Artenvielfalt, aber auch der Menschenrechte. Schätzungen zufolge sind bereits 20-25% der Böden weltweit in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Das trifft insbesondere auch die kleinbäuerlichen Betriebe im globalen Süden, die oft mit der Konkurrenzsituation der globalen Märkte nicht mithalten können. Das entzieht insbesondere ländlichen Regionen eine ihrer wichtigsten Grundlagen für ein Einkommen und somit für die Existenz. Die Indikatoren zeigen, dass sich die Lage vor allem im Globalen Süden schon vor der Pandemie verschlechtert hat und der Hunger seit Jahren wieder zunimmt. Die Fokussierung der Investitionen auf eine industrialisierte Landwirtschaft befeuert zusätzlich das Ganze. Es braucht nun krisenfeste, ökologische, lokale, bzw. regionale landwirtschaftliche Strukturen, die Artenvielfalt und Bodenfruchtbarkeit fördern und die Ernährungsunabhängigkeit sowie die Produktion gesunder Lebensmittel sichern!

Vision „Aufbauende Landwirtschaft am Tempelhof“

Vor diesem Hintergrund geht Schloss Tempelhof für eine Vision einer ökologischen, ressourcenaufbauenden Landwirtschaft und hat sich zum Ziel gesetzt, Modell- und Demonstrationsbetrieb sowie Reallabor für eine zukunftsfähige Landwirtschaft zu werden. So entstand vor fünf Jahren ein Forschungskonzept für eine „Aufbauende Landwirtschaft am Tempelhof“ mit dem Verständnis, dass die Landbewirtschaftung und Landnutzung weitaus mehr ist als nur die Lebensmittelproduktion. Es ist vielmehr auch die Anerkennung und Berücksichtigung der natürlichen Kreisläufe, der natürlichen Ressourcen wie Boden, Wasser, Pflanzen und der unterschiedlichen Funktionen der Natur (Wasserspeicherung, -filterung, Lieferant von Heilmitteln, Artenvielfalt, usw.), aber auch anderen Ökosystemdienstleitungen, wie z.B. Erholungswert und ästhetischer Genuss. Daraus folgte die Kernfrage des Forschungskonzeptes: „Wie kann eine resiliente, ressourcenaufbauende Landwirtschaft erreicht werden, die Kreisläufe weitestgehend schließt und dabei eine hohe Produktivität erreicht?“Das Forschungskonzept beschreibt wie die Fragestellung in drei Themengebieten: (1) Bodenaufbau, (2) Agrobiodiversität und (3) Stoffkreisläufeuntersucht werden kann. Das Konzept ist zudem stark von den Prinzipien der Permakultur und der Agrarökologie inspiriert.

  1. Im ThemengebietBodenaufbau“ werden Methoden und Techniken erprobt, die den Boden bei laufender Produktion bei seiner Regeneration unterstützen, um seine vielfältigen Funktionen optimal zu erfüllen.
  2. Das ThemengebietAgrobiodiversität“ hat zum Ziel, eine Vielfalt an Arten sowohl in der Landschaft, als auch an Agrarnutzungen in die landwirtschaftlichen Flächen zu integrieren, die das Ökosystem in seinen natürlichen Stoffkreisläufen unterstützen.
  3. Das ThemengebietStoffkreisläufe“beschreibt Analyse und Umsetzung von geeigneten Maßnahmen zur Verbesserung von verschiedenen Kreisläufen im landwirtschaftlichen Betrieb.

Dabei ist der Forschungsaspekt mittlerweile Teil des Gesamtprojekts „Aufbauende Landwirtschaft am Tempelhof“, dass auf vier folgenden Grundpfeilern basiert.

  • 1. Lebensraum gestalten,
  • 2. nachhaltige Bewirtschaftung,
  • 3. Erforschung und Dokumentation und
  • 4. Erfahrungen weitergeben.

An erster Stelle übernimmt die Gemeinschaft die Verantwortung für einen gesunden Lebensraum für Mensch, Tier, Pflanze und Mikroorganismen, mit dem Ziel, einen ganzheitlichen Ansatz der Landbewirtschaftung zu entwickeln und einen zukunftsfähigen Lebensraum zu gestalten. Dabei spielt die nachhaltige Bewirtschaftung eine wichtige Rolle, die implizit Pflege- und Regenerationsmaßnahmen umfasst und die zum Humusaufbau und Vielfalt in der Land(wirt)schaft beitragen. Die dritte Säule beinhaltet die wissenschaftliche Begleitung, die vierte die Weitergabe der gewonnenen Erkenntnisse. Die Umsetzung des Projektes wird teamübergreifend durch den Landwirtschaftsbetrieb, die Arbeitsgruppe „Permakultur“ und dem „Aufbauende Landwirtschaft“-Team am Tempelhof in Zusammenarbeit mit verschiedenen Forschungseinrichtungen und Partnern umgesetzt. Der landwirtschaftliche Betrieb am Tempelhof ist einerseits ein Modellbetrieb, um regenerative, also wiederaufbauende Ansätze zu testen, die auf andere Betriebe übertragen werden können. Andererseits ist er auch Reallabor für die Ausübung von transdisziplinären, experimentellen Forschungsansätzen, welche neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur regenerativen und ökologischen Landwirtschaft bringen. Die Besonderheit liegt in der Durchführung der Untersuchungen bei laufendem landwirtschaftlichen Betrieb und somit einem direkten Bezug zur Praxis. Die finanzielle Startförderungen wurden von der GLS Bank sowie der grund-stiftung am Tempelhof gewährt.

Aktueller Stand in der Umsetzung

In den vergangenen vier Jahren, seit dem offiziellen Projektstart in 2017 (siehe in der Graphik 01) mit den universitären Partnern, wurde bereits viel umgesetzt. In der unten aufgeführten Graphik (Chronik 2017-2021) ist eine Auswahl Maßnahmen und Aktionen in einem Zeitstrahl dargestellt. Als Grundlage für alle weiteren Forschungsfragen wurden bereits im April 2017 von 9 verschiedenen landwirtschaftlichen Flächen am Tempelhof und 2 konventionellen Flächen insgesamt 210 Bodenproben genommen, um den Status quo verschiedener chemischer und biologischer Parameter zu bestimmen (02). Die Analysen wurden im Rahmen einer Masterarbeit und in Kooperation mit der Universität Hohenheim durchgeführt. Weitere Parameter für die Datenerhebung seitens des Betriebs wurden festgelegt und Forschungsfragen erarbeitet. Leider standen, auf Grund von Verzögerungen auf universitärer Seite, erst 2020 alle Analysedaten zu den Bodenproben und der Ergebnisbericht zum Nährstoffstatus der Böden zur Verfügung (11). Damit ist ein wesentlicher Meilenstein geschafft für weitere wesentlichen Forschungsfragen. Für den zweiten Schwerpunkt der wissenschaftlichen Auswertung erfolgte die Biodiversitätserhebung ein Jahr später durch das Naturschutzbüro „Andrena“ mit Empfehlungen und Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität (3). Daraufhin wurden gleich die ersten Maßnahmen ergriffen, wie z. B. die Umsetzung von Altgrasstreifen (4). Weitere Schritte beinhalteten die Pflanzung weiterer Sträucher und Bäume, Anlegen von Blühstreifen und Biotopen. Das Anlegen des Biotopteichs diente ebenfalls der Funktion der Wasserspeicherung (09). Im Sinne einer ganzheitlichen Landnutzung wurden im Herbst 2018 Robinien und Walnüsse gepflanzt (5), mittlerweile insgesamt 400 Bäume und Sträuchern! Ein großes Highlight war im Frühjahr 2019 der Umzug des Waldgartens innerhalb der Flächen des Tempelhofes in die Nähe der Market Garden-Flächen des landwirtschaftlichen Betriebs, um entsprechend der Permakulturprinzipien mehr Synergien schaffen und die Früchte, Kräuter und mehrjährigen Kulturen des Garten besser nutzen zu können (6). Damit der Anbau mit Mulch, als regenerativer Ansatz, auch einfacher im Ackerbau umgesetzt werden kann, wurde eine von fünf speziellen, in Deutschland entwickelten und gebauten Mulchpflanzmaschinen (7) an den Tempelhof geholt. Seitdem wird der Lagergemüseanbau von Kohl, Lauch, Sellerie und Kürbis im Mulch zu einem deutlich schnelleren und effizienteren Arbeitsschritt und zugleich bleibt der Boden für die ganze Anbausaison bedeckt.

Um das Wissen und die Erfahrungen, auch von anderen Nischenprojekten rund um die aufbauende Landwirtschaft, und die Prinzipien und Methoden dieser weiterzugeben, wird jährlich ein Landwirtschaftssymposium am Schloss Tempelhof von Stefan Schwarzer organisiert. Zusätzlich wurde von ihm, als neues Format, die gleichnamige Webinarreihe mit verschiedenen Referenten initiiert (08). Über die gesamte Forschungszeit begleitet und führt das Tempelhofer Team wissenschaftliche Studien und Arbeiten durch. Drei studentische Werke wurden bereits abgeschlossen, zwei weitere Projekte laufen noch. Eines davon berührt den Bereich Salatzüchtung (12): Entwicklung von Liniengemischen und Kreuzungspopulationen in Kooperation mit dem Julius Kühn-Institut. Das andere Vorhaben untersucht den Kartoffelanbau: VORAN – Verbesserung Ökologischer Fruchtfolgen mit Transfermulch für ein regeneratives, angepasstes Nährstoffmanagement; ein BÖLN Projekt umgesetzt durch die Universität Kassel. Letzteres vergleicht den Boden, die Ernte und den Schädlingsbefall zwischen einem betriebsüblichen, gepflügten und einem regenerativen umgepflügten Kartoffelanbau mit Mulch.

Auch wenn es eine Besonderheit darstellt, Forschung im laufenden Betrieb zu integrieren, war die Distanz zu den Universitäten nicht einfach zu überbrücken. Doch zu unserer eigenen Überraschung ist das Thema einer regenerativen Landwirtschaft so aktuell, dass wir eine Zusage für ein Erasmus+-Projekt bekommen haben, um eine europaweite Online-Fortbildung aufzubauen (13)! Das Projekt scheint auf den Weg gebracht und es stehen viele weitere Forschungsmaßnahmen und Schritte aus.

Blick in die Zukunft

Als kleines Umsetzungsteam mit sechs Leuten am Tempelhof versuchen wir, weitere Menschen ins Boot zu holen, um das Forschungskonzept voranzutreiben – und dies möglichst über Förderanträge, damit die Arbeit auch finanziell entlohnt wird. Bisher konnte aus der Zusammenarbeit mit den Forschungseinrichtungen noch kein passender Förderantrag gefunden und eingereicht werden, der unsere Arbeit auch weitreichender unterstützt. Daher suchen wir nach weiteren Partner*innen und Fördermöglichkeiten auch für die weiteren Schritte. Als Weiteres stehen die Planung und Umsetzung von Agroforst, die Gestaltung der Flächen nach dem Keyline-Prinzip und die Rückhaltung von Wasser durch das Wasserkonzept auf der Agenda/auf dem Programm. Außerdem knüpfen wir an die Ergebnisse zum Nährstoffstatus unserer Böden an, um weitere Schwerpunkte und Forschungsfragen festzulegen. Dabei werden die Bodenbiologie und die Nährstoffkreisläufe eine zentrale Rolle spielen.

2021 Start Erasmus+ Projekt “RegAgri4Europe”

Schloss Tempelhof ist ein von sechs europäischen Partnern des genehmigten Erasmus+-Projekts „Upgrading The Agricultural Sector With Skills In Regenerative Agriculture” mit Projektstart 2021. Hauptziel ist es, die globale Transformation zu einer regenerative Lebensmittelherstellung, Landwirtschaft und Landnutzung zu fördern, zu erleichtern und zu beschleunigen. Weil 90 % der landwirtschaftlichen Flächen in Europa konventionell bewirtschaftet werden, zielt da Projekt darauf ab, die Wissenslücke in der landwirtschaftlichen Ausbildung zu schließen, indem durch die Zusammenarbeit der verschiedenen Partner eine webbasierte Fortbildung zur regenerativen Landwirtschaft erstellt wird. Dieses wird bestenfalls in die Lehrpläne von landwirtschaftlichen Berufsbildungsanbietern, Ausbildungsunternehmen und Hochschulen integriert. Zudem werden die politischen Entscheidungsträger über die Inhalte der regenerativen Landwirtschaft informiert, ein Anstoß, Lehrinhalte in die nationalen Rahmenlehrpläne aufzunehmen. Das Ganze wird durch eine Sensibilisierungskampagne unterstützt, das das Bild des aktuellen Stands der regenerativen Landwirtschaft gibt. Damit soll die Wahrnehmung der alternativen Landwirtschaft, ihrer Vorteile und der Möglichkeiten zur Ausweitung der Maßnahmen verbessert werden. Schloss Tempelhof trägt insbesondere die Verantwortung für die Erstellung eines Kurs-Curriculums, die Kursdurchführung online und Praxis-Workshops vor Ort, unterstützt aber auch im Vorfeld die Analyse zum wissenschaftlichen Stand. Die Fortbildung wendet sich an eine neue Generation von Gärtner*innen, Lehrlingen und anderen interessierten Personen mit landwirtschaftlichem Hintergrund. Das Gesamtprojekt richtet sich ebenfalls an Berufsbildungsanbieter*innen in der Landwirtschaft, Ausbildungsbetriebe und höhere Bildungseinrichtungen.

Das Team der „Aufbauende Landwirtschaft“ am Tempelhof bilden: Martina Jacobsen, Stefan Schwarzer, Maya und Sebastian Heilmann, Helene Urbain und Andreas Fritz

Weitere Infos unter www.schloss-tempelhof.de und www.lebendige-landwirtschaft.de

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