Autorin: Lena Sophie Vermeulen

Als Geographie-Studentin befasse ich mich mit der Beziehung zwischen Mensch und Natur. Angesichts der fortschreitenden Erderwärmung, den ihr zugrunde liegenden Umweltproblemen sowie ihren Folgeschäden, wählte ich meine Bachelorarbeit darüber zu schreiben, inwiefern Ökodörfer als Räume dienen können, um die meiner Ansicht nach fehlende Naturverbundenheit des Menschen zu stärken.

Trotz der durch die Pandemie schwierigen Umstände, ermöglichte das ZEGG in Bad Belzig mir einen Tagesbesuch im Mai 2021. Ich erhielt eine persönliche Führung über das Gelände. Schnell wurde mir klar, dass sich mir an diesem Tag nicht nur neue Perspektiven, sondern Welten eröffnen würden. Es hatten sich eine Handvoll Menschen gefunden, die mir jeweils eine gute Stunde ihrer Zeit schenken wollten, um sich von mir zu ihrem Erleben von Naturverbundenheit interviewen zu lassen.
Mit jedem Schritt, den ich auf dem Gelände ging, spürte ich, wie meine Alltagssorgen in den Hintergrund rückten und mit ihnen der allzu verkopfte Versuch, Untersuchungsergebnisse erzielen zu wollen.
Mit jedem geführten Interview wurde mir bewusster, dass ich weder für Interviews, noch für Resultate an diesen Ort gekommen war. Mit jedem Menschen, der*die sich mir öffnete, wurde ich mir klarer darüber, dass ich Teil des Raumes war, für den ich mich interessierte, indem ich in einen authentischen Kontakt trat mit meiner Um- und Mitwelt.
Und so hießen mich die Bewohner*innen des ZEGGs in einer Wirklichkeit willkommen, in welcher die Naturverbundenheit nicht ein Ziel ihres Wirkens, sondern ein natürliches Produkt ihres Seins ist.

Auf der Basis von Leitfaden-Interviews kreierten die Befragten gemeinsam mit mir Räume, in denen sie für sich Worte für ihr Erleben von Naturverbundenheit fanden und diese mit mir teilten.
Naturverbundenheit ist eine Selbstwahrnehmung, die sich durch das Erfahren von wenig bis keinen Grenzen zwischen dem Selbst und Natur auszeichnet (Ansätze von Aron et al. (1991), Aron und Fraley (1999), Schultz (2001), Dutcher et al. (2007), Nisbet et al. (2008), Pluta (2012) und Pisters et al. (2019)).
Dieser Definition zufolge erleben alle der befragten Bewohner*innen Naturverbundenheit.

Um die Forschungsfrage zu beantworten, unterliefen die Interviews nach der Transkription eine qualitative Inhaltsanalyse nach Philipp Mayring (2015). Hierfür wurden im Vorhinein mithilfe einer ausführlichen Literaturrecherche Kategorien erstellt, denen die Aussagen der Interviewpartner*innen zugeordnet wurden. Teilweise wurden neue Kategorien erstellt, weil diese nicht von den theoretischen Ansätzen abgedeckt worden waren.
So kam das Ergebnis zustande, dass das ZEGG das Naturverbundenheitserleben von seinen Bewohner*innen auf drei unterschiedlichen Ebenen stärkt: Dem espace vécu (gelebter Raum), wie Lefebvre ihn nennt, dem espace perçu (wahrgenommener Raum) und dem espace conçu (gestalteter Raum).
Der espace vécu entsteht dadurch, dass ein Raum bewohnt und gefüllt wird mit kollektiven Ideen, Werten und Erfahrungen. Es wird sich hier beispielsweise gegenseitig daran erinnert, wie wichtig Selbstfürsorge ist, um anderen helfen zu können. Die Nähe zum eigenen Gefühlsleben kann Abschottung von, durch Umweltprobleme ausgelösten, negativen Gefühlen, und damit eine Form der Selbst-Entfremdung, vorbeugen. Der authentische Austausch über Gefühle kann der Entfremdung von anderen Menschen entgegenwirken. Somit kann ein Leben in Gemeinschaft ein resonantes Verhältnis zu sich selbst und dadurch mit anderen Menschen ermöglichen, was in einem Gefühl der Naturverbundenheit resultieren kann, da Soziales von Ökologischem nicht getrennt wird.
Darüber hinaus ist ein Ökodorf insofern ein espace perçu, als dass Räume produziert werden, die Ausdruck der Wahrnehmung seiner Bewohner*innen ist, welche Letztere rückwirkend reproduzieren. Die Art und Weise der ökologisch nachhaltigen Lebensführung der Bewohner*innen produziert einen Lebensraum, der den Bewohner*innen aufzeigt, dass und inwiefern sie Teil von Natur sind und der sie dadurch Naturverbundenheit fühlen lässt. Hierbei spielt die Selbstversorgung des ZEGGs eine große Rolle. Diese genügt, um beispielsweise im Sommer den Bedarf an Obst und Gemüse beinahe vollständig mit eigenem Anbau oder den Strombedarf zu 85% eigenständig abzudecken.
Auf der Raumebene des espace conçu treffen zunächst unterschiedliche Perspektiven der Bewohner*innen aufeinander. Mittels direkter wie indirekter Wissensvermittlung über umweltfreundliches Verhalten durch Einführungsveranstaltungen, Seminare sowie einem geteilten ökologischen Lebensstil wird ein geteiltes Verständnis bei den Bewohner*innen davon kreiert, wie die Menschen mit ihrer Umwelt interagieren möchten. Außerdem kann durch die Diversität von Perspektiven Transformation stattfinden, die ein Mensch benötigt, um sein Bewusstsein dahingehend zu verändern, dass er Naturverbundenheit erleben kann.

Mit einem vollen Kopf und einem berührten Herzen lief ich am Ende meines Besuchs des ZEGGs barfuß auf dem von der Sonne gewärmten Boden zum S-Bahnhof. Dankbarkeit bewegte mich beim Gedanken daran, dass sich an diesem Tag in einem von Entfremdung geprägten Jahr so viele Menschen Zeit genommen hatten für mich, für sich selbst und für die Frage, was sie mit Natur verbunden fühlen lässt.
Der Fokus des ZEGGs auf die Themen Liebe und Beziehungen prägt mich nachhaltig, auch in Bezug auf Naturverbundenheit. Es scheint nämlich ganz so, als ob der Mensch und die Natur gar nicht voneinander zu trennen sind: Wie manch langjährige Beziehungspartner*innen nimmt die eine Partei die andere womöglich für selbstverständlich. Die Kommunikation verläuft oftmals einseitig, Streitpunkten wird teils engstirnig begegnet und es wird regelmäßig vergessen, dass das, was dem*der Partner*in wehtut, früher oder später auf einen selbst zurückfällt. Weil ein Mensch stets in Beziehung steht mit seinem*ihrem Gegenüber, ob als Spiegel, als vermeintlicher Feind oder als Freund*in.

Ob gewollt oder ungewollt, der Mensch ist nicht zu trennen von der Luft, dem Wasser, der Erde, den Pflanzen, ja, dieser Welt.

Ob bewusst oder unbewusst: Handlungen haben stets Auswirkungen. Im nachhaltigen wie im nicht nachhaltigen Sinne.

Ob naturverbunden oder unverbunden: Der Mensch ist Natur.

Quellen:

Dutcher, D. D., Finley, J. C., Luloff, A. E. & Buttolph Johnson, J. (2007). Connectivity With Nature as a Measure of Environmental Values. Environment and Behavior, 39(4), 474–493. https://doi.org/10.1177/0013916506298794

Nisbet, E. K., Zelenski, J. M. & Murphy, S. A. (2008). The Nature Relatedness Scale: Linking Individuals‘ Connection With Nature to Environmental Concern and Behavior. Environment and Behavior. Vorab-Onlinepublikation. https://doi.org/10.1177/0013916508318748

Pisters, S. R., Vihinen, H. & Figueiredo, E. (2019). Place based transformative learning: a framework to explore consciousness in sustainability intiatives. Emotion, Space and Society(32), 1–8. https://doi.org/10.1016/j.emospa.2019.04.007

Pluta, A. (2012). Integrated Well-being: Positive Psychology and the Natural World. Master of Applied Positive Psychology (MAPP) Capstone Projects(37), 1–78.

Mayring, P. (2015). Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken (12. Aufl.). Beltz Verlag.

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