Ein Interview mit Simon Harhues aus der Gemeinschaft Schloss Tempelhof, der im Sommer 2022 an einem Designkurs über Ökodörfer teilnahm. Das Interview führte Stefanie Raysz.

Das „EDE – Ecovillage Design Education“ – ist ein GEN Kurs zur Gestaltung und Umsetzung von nachhaltigen Projekten und Gründung von Ökodörfern. GEN, das Netzwerk der Ökodörfer, und gaia education (gaiaeducation.org) bieten diese 3-4-wöchige Ausbildung an für Menschen, die Gemeinschaften gründen, begleiten und weiterentwickeln wollen. Inhaltlich orientiert sich das Curriculum an den GEN Werten und den vier Dimensionen der Nachhaltigkeit: Ökologie, Ökonomie, Soziales und Kultur. Heute, nach mehr als 20 Jahren Kursen in unterschiedlichen Ökodörfern auf der ganzen Welt, beinhaltet das Angebot eine Vielzahl an Übungen: Praxis und Alltag von Gemeinschaft, theoretische und praktische Wissensmodule zu nachhaltigem Leben, soziotechnische Lösungen und Innovationen, Einheiten zu gewaltfreier Kommunikation, Persönlichkeits- und Friedensbildung aus dem Erfahrungsschatz verschiedener Orte des transformativen Wandels.

Infos unter: gen-deutschland.de/projekt/ede-ecovillage-design-education/

Schloss Tonndorf, eine GEN Gemeinschaft in Thüringen, war 2022 Austragungsort für den internationalen, dieses Mal von der EU-geförderten EDE-Kurs. Die 27 Teilnehmenden aus der Jugendarbeit bereiteten sich vor, künftig Belange von Klimaschutz und Gemeinwohl stärker in ihre Arbeit mit der jungen Generation einzubeziehen. Neben Theorieinput gab’s viel praktische Mithilfe für die internationale Gruppe: Obstbaumpflege, Pflege eines Teich-Biotops, Kirschernte, Putzdienste und Kochen für das Team, etc. Die Gastgeber*innen des Schlosses Tonndorf boten vielfältige Realsituationen für nachhaltiges Agieren in Gemeinschaft und Aktionen vor Ort in Kooperationsprojekten.

Stefanie: Hallo Simon, du kommst gerade zurück aus deiner EDE Fortbildung. Mit diesem „Training 4 Future“ lud GEN Jugendtrainer*innen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund ein, mit und ohne Gemeinschaftserfahrung und mit viel und wenig Wissen um Nachhaltigkeit. Was hast du erlebt in den drei Wochen?
Simon: Ich bin begeistert von den vielen Themen und Eindrücken dieser intensiven Zeit und werde gefühlt in den nächsten Wochen auch noch weiter verdauen und sortieren.
Schloss Tonndorf war ein interessanter Ort mit vielen Gemeinschaftsmenschen. Der Kurs dort war eingebettet in ein Nest der Erfahrung und vorbereiteten Umgebung. Die Internationalität und die Altersspanne in der Fortbildungsgruppe waren spannend. Allein Englisch zu sprechen als „Verkehrssprache“ in einem thematisch komplexen Feld und über diese lange Zeit hinweg war für einige Teilnehmer*innen herausfordernd. Positiv für mich war eindeutig dieses Erleben von „menschlicher Vielfalt“. Es waren Menschen unterschiedlichen Alters aus Dänemark, den Niederlanden, Deutschland, Tschechien, Kroatien und Slowenien dabei. Wir wurden durch das Los in Peer-und Sharinggroups eingeteilt und waren als Gruppe nun 24/7 zusammen. Neben den Kursinhalten und den Projekten, die wir mitgebracht hatten, haben wir in diese Zeit natürlich auch persönliche Erlebnisse und Erfahrungen ausgetauscht.

Stefanie: Wie sah der Rahmen des Kurses und die Aufgabe für die Teilnehmer*innen aus?
Simon: Der Plan sah verschiedene Bausteine vor. Es gab Inhalte, die durch die Trainer*innen vermittelt und im eben angesprochenen Peer-Learning vertieft wurden. Dazu kamen unsere Projekte unter dem Stichwort „Jugend und Nachhaltigkeit“, die wir in Gruppenarbeit intensivieren und verfeinern konnten. Sie hatten, wie zu erwarten war in dieser Zusammensetzung des Kurses, mannigfaltigste Charakter.
Das prallvolle Programm war für manche der Teilnehmer*innen eine fordernde, teils überfordernde Angelegenheit und die Vielfalt für andere manchmal etwas zäh. Mit einem solchen „Mix“ an Menschen so viele Inhalte zu „beackern“ hieß, sich mit dem unterschiedlichen Wissens- und (Lebens-)Erfahrungsstand der Mitmachenden auseinanderzusetzen. Und auch mit verschiedensten Perspektiven konfrontiert zu werden. Wir hatten, in der Runde gesprochen, sehr diverse Erwartungen an Gestalt des Kurses, Lösungen und Effekte. Das Lernen war nicht immer für alle effektiv und effizient, langweilig wurde es aber nie.

Stefanie: Wie sah ein solcher Arbeits- und Gruppentag aus?
Simon: Es gab täglich mindestens zwei Vorträge mit theoretischem Input, am Morgen und am Nachmittag. Praktische Übungen zu Nachhaltigkeitsthemen und die Kleingruppenarbeit kamen dazu – und das über drei Wochen. Abwechslung in dieses sehr durchstrukturierte Programm brachten die Projektbesichtigungen an anderen Orten rund um Tonndorf, z. B. in der freien Schule in Erfurt oder im benachbarten Ökodorf LebensGut Cobstädt. Highlights waren die persönlichen und projektorientierten Reflexionszeiten. Dazu gab’s gemeinsame Abende am Feuer, in der Sauna, ein Biografieabend, ein Nature Walk, Kakao-Zeremonien, gemeinsames Singen und Jam-Sessions, etc. Vieles fand auch spontan statt.

Stefanie: Theorie und Praxis gingen also Hand in Hand…
Simon: Ja, eindeutig. Die Theorieeinheiten waren die Basis, um alle abzuholen. Im Mittelpunkt standen die GEN Nachhaltigkeitsdimensionen. So waren z. B. konsensorientierte Entscheidungsstrukturen, Design Thinking Prozesse oder Stakeholder-Mapping Teil der sozialen Dimension. Ökonomisch beleuchteten wir nachhaltige Businesspläne oder die verschiedenen Arten des Kapitals. Im Bereich der Ökologie diskutierten wir Ressourcenverbrauch, Nachhaltigkeit vs. Regeneration oder welche SDG-Ziele (Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen) in der Projekt- und Jugendarbeit besonders relevant und zu beachten sind. Wir widmeten uns erprobten Gemeinschaftsbildungstools, dazu gab es Vorträge und Workshops zur Soziokratie, Macht und Hierarchie, Forum sowie Konfliktmanagement. Nach einer ersten Verdauungszeit des Gehörten – und das war alles andere als graue Theorie! – gingen wir über in das Format der „Design Studio Projects“. Unsere individuellen Ideen und Projektskizzen hatten wir initial in der Großgruppe geteilt. Im Anschluss, je nach Interesse, haben wir sie in Kleingruppen bearbeitet. So konnten wir das Gelernte gleich auf eigene Themen transferieren und anwenden. Den Kursabschluss bildete die Vorstellung aller Projekte vor der gesamten Gruppe. Die Projekte fokussierten „die Jugend“ und orientierten sich an Regeneration und Gemeinschaftsbildung.

Stefanie: Gibt es konkrete Ergebnisse?
Simon: Es sind verschiedene Projekte, die in den kommenden Monaten ganz oder teilweise real werden können, ja! Unsere Künstlergruppe arbeitete an einem Konzept eines partizipativen Kunst- und Kulturprogramms. Damit können Jugendliche in Ökodörfern, Gemeinschaften und anderen Orten der Transformation, auch in Schulen und anderen Kinder- und Jugendeinrichtungen für das Thema der Nachhaltigkeit sensibilisiert werden. Eine weitere Gruppe gestaltete einen Permakulturgarten für junge Leute. Und noch ein Projekt möchte ein Netzwerk aus Ökodörfern und anderen Nachhaltigkeitsorten für Tschechien und die Slowakei aufbauen – mit „Pop-Up Ökodörfern“ für junge Leute im Stil eines temporären Ökodorfes. Grundgedanke dabei ist, dass sie beispielsweise auf Festivals oder Konferenzen ein vielfältiges Programm rund um Nachhaltigkeit bieten und regenerative Effekte vor Ort hinterlassen. Auch gab es eine Arbeitsgruppe, die den Gemeinschaftsaufbau und die Online-Bildungsarbeit fokussierte. Sie wollen Lernmöglichkeiten vor Ort gestalten. Es sollte u.a. ein grünes Aufnahmestudio für Musik- und Videomaterial gebaut werden, mit einem Tempel als Mittelpunkt der Gemeinschaft.

Stefanie: Du lebst seit fünf Jahren in Gemeinschaft, bist also mit vielen Aspekten der Nachhaltigkeit und mit Gruppendynamiken vertraut. Gab’s trotzdem Aha-Erlebnisse für dich?
Simon (lacht): Ja, tatsächlich war ich einer der wenigen mit Gemeinschaftserfahrung. Es war trotzdem ein Refresher: Ich war insbesondere neugierig, wie andere Menschen in ähnlichen Gemeinschaften, hier in Tonndorf und Cobstädt, bestimmte Themen und Projekte handhaben. Ich konnte neue und andere Lösungen bei alltäglichen Gemeinschaftsproblemen erkennen, z. B. den Grad der Einbindung unserer Jugendlichen oder in den Beziehungen zu Nachbardörfern. Erstaunlich waren beispielsweise auch die Parallelen der Waldkindergärten und freien Schulen: Das Projekt des Waldkindergartens von Schloss Tonndorf war eines, das ich in direkten Vergleich mit unserer Freien Schule am Tempelhof setzen konnte. Die Aufgaben, Probleme und Hürden der beiden Unternehmungen gleichen sich doch sehr.
Spannend war auch, wie sehr sich die Kultur und Sozialisation der Kursteilnehmer*innen selbst innerhalb von Europa nach wie vor unterscheiden. So sollten wir in den Design Studio Projektgruppen zunächst Werte für das eigene Projekt definieren. Während die einen die Solidarität und das Gemeinsame für die Gemeinschaftsszene in einem kapitalistischen System betonten, war es für andere mit sozialistischer Geschichte wichtig, die Individualität hervorzuheben. Am Ende konnten wir uns darauf einigen, dass beide Aspekte ihren Raum brauchen.

Stefanie: Was könntest du Menschen empfehlen, die über die Teilnahme an einem EDE nachdenken?
Simon: Ich denke, dass Neugier und Interesse an Nachhaltigkeit und Gemeinschaftsbildung natürlich das A und O dafür sind. Hilfreich ist aber auch die Bereitschaft, sich auf die persönliche Auseinandersetzung mit Menschen und sich selbst einzulassen, im ehrlichen und wahrhaftigen Austausch. Offenheit, seine eigene Begrenztheit anzunehmen. Erst dadurch erhält man die Möglichkeit, sie zu erweitern. Wer Überraschungen mag und flexibel ist, ist im EDE sicherlich richtig!

Stefanie: Gibt es ein Fazit, das du mit uns teilen magst?
Simon: Insgesamt ist es mir der Kurs relativ leicht gefallen. Durch meinen Gemeinschaftshintergrund war ich in vielen Themen beheimatet. Ich habe viel gelernt und es hat sehr viel Spaß gemacht. Ich glaube, so verschieden wir alle waren, so individuell und divers waren auch die Erfahrungen. Ich habe in der Arbeitsgruppe für den Netzwerkaufbau mitgearbeitet. Dadurch werde ich wahrscheinlich noch einmal andere, neue Perspektiven in meine Vorstandstätigkeit bei GEN Deutschland einfließen lassen können. Ich habe vor, meine neuen Erfahrungen in meinen Gemeinschaftsalltag einzubringen. Zum Beispiel im Fablab, das ich betreue, und in Angeboten, die ich unserer Schule mache. Ich durfte neue Tools für Gruppenarbeit kennenlernen, z. B. Council (nicht-hierarchische, gewaltfreie und wertschätzende Kommunikationsform, Anmerk. d. Red.), Performing Arts oder die Arbeit mit grafischer Kunst. Bisher habe ich selten Malen als visuelle Ausdrucksweise in der Gemeinschaftsarbeit eingesetzt. Das möchte es zukünftig in meiner Arbeit mit jungen Menschen häufiger anwenden. Den Kontakt zu den anderen Menschen der Fortbildung möchte ich weiterhin halten.

Schlussendlich habe ich viele bewegende Momente erlebt, dies Erlebnisse schwingen in mir nach und bringen mich zum Nachdenken. Es war eine gute Gelegenheit, mich als Mensch wieder einmal auch neu zu erfahren.

Vielen Dank, Simon, für das Interview!

Diese EDE-Kurse von GEN werden an verschiedenen Orten in Deutschland und Europa zu unterschiedlichen Zeiten angeboten. Mehr Informationen und Termine: unter gen-deutschland.de. Kontakt über info@gen-deutschland.de
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